Am 17.05. unternahmen wir mit Rainer Maurer eine Führung zu ausgewählten Jugendstilvillen im  südlichen Schwabing. Start unserer Führung war das Siegestor, sozusagen der Eingang nach Schwabing und als klassizistisches Bauwerk ein Beispiel der dem Jugendstil vorangehenden Architektur des 19. Jahrhunderts.  

Das Siegestor in München

Das Siegestor wurde 1843 bis 1850 im Auftrag von Ludwig I. nach Entwurf von Friedrich von Gärtner errichtet. Als Vorlage diente der Konstantinsbogen in Rom. Den bewusst geplanten Gegenpol bildet die ebenfalls von Gärtner geplante Feldherrnhalle, die der Florentiner Loggia dei Lanzi nachempfunden ist. 
Den ersten interessanten Gebäudekomplex finden wir in der Georgenstraße 10.
Man findet hier ein Beispiel des protzig wirkenden Historismus neben Jugendstilarchitektur. Direkt neben dem gleichzeitig entstandenen Pacelli-Palais im Stil des Historismus, steht das Palais Bissing im Jugendstil. 
Der Historismus (ca. 1820–1890) ist eine Architekturbewegung der Gründerzeit, die sich durch die Nachahmung und Kombination historischer Stile auszeichnet, insbesondere der Gotik, Renaissance, Barock und Klassizismus. Der Jugendstil (ca. 1890–1910) entwickelte sich als Gegenbewegung zum Historismus und markiert den Übergang zur Moderne.
Das Palais Bissing wurde 1880/81 nach Plänen von Josef Hölzle im Stil der Neorenaissance erbaut und 1902/03 durch Ernst Robert Fiechter, einem Schweizer Architekten für den Ägyptologen Friedrich Wilhelm von Bissing im Reformstil völlig umgebaut. Es zeichnet sich aus durch den flächigen Farbauftrag und den Verzicht von Stuck. Die originalgetreu restaurierte Fassade zeigt eine gesicherte Farbigkeit. In Abbildungen findet man Persönlichkeiten (Schiller, Raphael. Donatello, Sophokles), denen von Bissing sich verbunden fühlte 
Von Bissing brachte in der Villa seine ägyptische Privatsammlung unter. Teile der Sammlung schenkte er dem Bayerischen Staat als Basis für das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst in München. 

    
Blick auf Pacelli Palais                                              Bissing Palais mit dem Turm vom Pacelli Palais

Die Zeit des Jugendstiles erstreckte sich im Zeitraum von circa 1890 bis 1910. Es handelt sich um eine Kunst- und Architekturbewegung, die sich durch florale Ornamente, geschwungene Linien, asymmetrische Formen und die Verbindung von Kunst und Handwerk auszeichnet. Der Stil spiegelt den Wandel vom Historismus zur Moderne wider.  Der Name „Jugendstil“ leitet sich vom Magazin „Die Jugend“ ab, das 1896 in München gegründet wurde und maßgeblich die gleichnamige Kunst- und Architekturbewegung prägteGleichbedeutend sind die Bezeichnungen Sezession in Österreich, Art Nouveau in Frankreich, Stile Floreale in Italien oder Tiffany Style in den USA.
Der Münchner Stadtteil Schwabing, war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein kulturelles Zentrum, das den Jugendstil prägte. Es zog Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle an, was sich in der Architektur widerspiegelt.
Auch sichtbar durch die Statue von Anton Ažbe im Leopoldpark. Der slowenischen Maler Ažbe , war bekannt für seine Studien hinfälliger Körper. Zunächst begann er mit einer kleinen Schule in der Türkenstraße. Aufgrund des großen Zustroms an Schülern, zu denen auch Kandinsky zählte, wechselte er in das Gartenhaus des damaligen Architekten Friederich von Thiersch in der Georgenstraße 16, das heute leider nicht mehr steht.


Statue Anton Ažbe

Der Leopoldpark ist benannt nach dem zweiten Sohn des Prinzregenten Luitpold und die Benennung angrenzenden Straßen tragen die Namen von Familienmitgliedern. So etwa den seiner Gattin Gisela Luise Marie einer Tochter von Kaiserin Sissi und deren Sohn Konrad. Der Spitzname „Kaiserviertel“, den Rainer dem Viertel gegeben hat, fängt die königliche Prägung humorvoll ein
In der Friedrichstraße 3, finden wir ein viergeschossiges Wohnhaus aus dem Jahr 1904, gestaltet vom Architekten Hans Thaler in zurückhaltender Form. Im Giebel lässt sich aus den Ornamenten eine Fratze erkennen.

Wohnhaus Friedrichstraße 3 von Hans Thaler


Wohnhaus Friedrichstraße 3 von Hans Thaler, Ausschnitt des Giebels.

Gegenüberliegend in der Friedrichstraße 9-11, Ecke Konradstraße, steht das von Martin Dülfer entworfene Mietshaus, errichtet in den Jahren 1898 bis 1899, das nach dem Krieg sehr stark umgestaltet erhalten hat.


Im Vordergrund Gebäude Friedrichstr. 9-11, hinten das Jugendstilgebäude von Thaler


Friedrichstraße 9-11
Quelle: Die-Neubauten-J.-Kalb-Friedrichstrasse-9-u.-11-in-Muenchen-01.jpg (1920×1509)

Zwischen den Jugendstilhäusern und in der Konradstraße 14 +16 sind noch zwei sehr schöne Jugendstill-Gittertore erhalten.


Jugendstiltore zwischen Konradstraße 14 und 16.


Rückseite des Gebäudekomplexes von Franz Nyilas

Durch den Park schlendernd erreichen wir die Rückfront eines Gebäudeensembles von Franz Nyilas erbaut im Jahre 1903, bestehend aus zwei Häusern mit Innenhof. Die Vorderseite des Vorderen Gebäudes befindet sich in der Franz-Joseph Straße 19. 
In der Friedrichstraße 18 steht ein weiteres von vielen prächtigen Wohnhäusern, dass der Bauherr Friedrich Trump zwischen 1903 und 1904 nach Plänen des Architekt Max Langheinrich bauen ließ. Langheinrich war Schüler des in München bekannten Architekten Friedrich von Thiersch (u.a. Münchner Justizpalast) und hat in führender Position beim Architekten Martin Dülfer gearbeitet.
Ursprünglich war eine Wohnung pro Etage vorgesehen, die circa 800 Quadratmeter umfasste und aus 16 Zimmern zuzüglich eines eigenen Dienstbotentrakts bestand. Die historische Gestalt des denkmalgeschützten Gebäudes wurde äußerlich weitestgehend wiederhergestellt.


Rechts das Wohnhaus Friedrichstr. 18. Von Langheinrich. Links daneben ebenfalls ein Gebäude von Langheinrich. (Bauherr ebenfalls Friedrich Trump)


Friedrichstr 18. Detail (auch Trump)

Um 1904 gestaltete der Jugendstil-Architekt Max Langheinrich das Mietshaus Franz-Joseph-Straße 23 an der Ecke Friedrichstraße. Auffallend sind v. a. die farbigen Elemente.


Farbige Doppelsäulen


Gebäude des Architekten Langheinrich, Franz Joseph Str. 38


 Detailaufnahme mit den charakteristischen Dopppelsäulen.

Datailaufnahme Fassade

Ein weiteres Wohnhaus von Max Langheinrich steht in der Franz-Joseph Str. 38, Ecke Römerstraße, in der sich einige zuvor gesehene Elemente, wie die Doppelsäulen wiederfinden. Interessant sind auch die noch erhaltenen Zaunpfosten vor dem Haus.


Einfassung des Gebäudes ebenfalls im Jugendstil

Etwas weiter in der Römerstr. 11 finden wir bunte, und mit viel Ornamentik versehene Gebäude, das Elemente der Ägyptischen Kunst und Säulenfomen der griechischen Antike nachzeichnet. 
Der vierstöckige Bau mit Mansardendach wurde 1899 fertiggestellt durch das Architektenduo Henry Helbig und Ernst Haiger. 
Im Sockelgeschoss finden sich Ornamente mit Anlehnung an die ägyptische Kunst. Über dem  Eingang thront ein Torwächter der an eine Pharaonenmaske erinnert. Rechts eine goldgefärbte Profilansicht eines Mannes mit Palmwedel.


Gebäude Römerstr 11


Gebäude Römerstr 11, Hauseingang


Detailansichten

Die ehemalige Bebauung im Jugendstil im weiteren Verlauf der Römerstraße 13 ist im Rahmen der „besinnungslosen Modernisierung“ der „zweiten Stadtzerstörung Münchens“ gewichen. 
Dieser Begriff beschreibt die weitgehend unreflektierte Zerstörung historischer Bausubstanz in den 1950er- bis 1970er-Jahren, um Platz für funktionale, oft standardisierte Neubauten zu schaffen. Viele Gebäude im Jugendstil in Schwabing fielen diesem Trend zum Opfer. Sie galten als veraltet oder nicht mehr wirtschaftlich nutzbar, obwohl sie künstlerisch und historisch wertvoll waren.

Häuserfront Römerstraße 11,13,15


Die Gruppe mit Rainer Maurer

Ein weiteres Highlight der Führung ist das Haus in der Ainmillerstraße 22, erbaut von Felix Schmidt nach dem Entwurf von Henry Helbig und Ernst Haiger. Die Fassade wurde nach originaler Farbgestaltung restauriert. Moderne Tendenzen vermutlich durch den aus den USA stammende Henry Helbig, sind in den Bau eingeflossen.
Das an Sonnenblumen erinnernde Dekor findet sich auch zwischen den Fenstern wieder, wobei es aussieht, als würde der Stängel über die Wandöffnungen hinweg nach oben wachsen und die Blumen tatsächlich unterhalb des Bogenfensters blühen. Spannend das biblische Sündenfall-Relief über dem Hauseingang.

Ainmillerstr 22

Detailansicht


 Tor mit Sonnenblumen


Detail Fries mit Adam und Eva

In Schwabing wandelt man auch auf den Spuren der weißen Rose. Am Habsburger Platz 2 in München wohnte Alexander Schmorell, ein zentrales Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose. 
Von hier aus ist es nicht weit bis zur Franz-Joseph-Straße 13, dem Wohnort der Geschwister Scholl.


Vor dem Haus der Geschwister Scholl

In der Franz-Joseph-Straße 19, treffen wir auch auf das Vordergebäude des Gebäudeensembles von Franz (ung. Ferenc) Nyilas

Gebäude Franz Nyilas

  Rückseite des „Vorderenhauses“ / Blick in den Flurbereich und den Garten im Hinterhof.

Gebäudekomplex Martiusstr.

Ein schönes Beispiel für eine im durch Jugendstil geprägte, gut erhaltenes komplette Bauensemble herrschaftlicher Mietshäuser finden wir in der Martiusstraße.  Der Großteil der Häuser stammt vom Architekten Anton Hatzl, der auch Bauherr und Bauunternehmer war.


Gebäudekomplex Martiusstr.

Unweit des Englischen Gartens in der Gedonstraße 4-6 steht das letzte Gebäude, das wir innerhalb unseres Rundgangs besichtigt haben. Das Schmuckstück der Schawbinger Jugendstilgebäude wurde 1903-1904 von Marin Dülfer ist Rainers Lieblingsobjekt. Es besitzt eine formvielfältige Gestaltung mit Bienen und Blumenornamentik.

Gedeonstr. 4-6

     
Gedeonstr. 4-6, Detailansichten

Die Fassadenfläche ist weitläufig mit dem in der Jugenstilarchitektur typischen Riffelputz gefüllt. Riffelputz wurde häufig im Sockelbereich eingesetzt, um die „Schwere“ zu unterstreichen. Nach oben hin geht es dann „leichter“ weiter. Im Unterschied dazu besitzt der Putz hier selbst schon eine zierende Eigenschaft besitzt, ohne, dass es eines zusätzlichen Ornaments bedarf. Darüber hinaus sind insbesondere die beiden Erker, die Bereiche um die Fenster und der obere Teil der Fassade mit Dekor besetzt. Das Gebäude wurde in restauriert und die ursprüngliche Farbgebung wiederhergestellt. Das Haus ist nicht nur architektonisch interessant. Ludwig Quidde, der Friedensnobelpreisträger von 1927, lebte von 1906 bis zu seiner Emigration 1933 in einer der großzügigen Wohnungen.

Der Erste Weltkrieg beendete den Jugendstil in Deutschland, indem er Bauprojekte stoppte, wirtschaftliche Ressourcen erschöpfte und den Fokus auf funktionale Architektur lenkte.

Die Frage bleibt, wie hätte sich Kunst und Kultur ohne den 1. Weltkrieg entwickelt? 

Zum Abschluss haben wir uns in dem sehr idyllischen kleinen italienischen Café Palmi in der Franz Joseph Straße 32 gestärkt.